20 Jahre nach 9/11: die Gestrandeten von Gander (2024)

20Jahre nach 9/11: die Gestrandeten von Gander

20Jahre nach 9/11: die Gestrandeten von Gander (1)

Pilotin Beverley Bass strandete damals in Gander. In dem Musical „Come from Away“ ist auch sie eine Figur und wird von einer Schauspielerin verkörpert.

Quelle: picture alliance/AP Photo/Nathan Hunsinger

Als es am 11.September 2001 in den USA zu den Terroranschlägen kam, war die Pilotin Beverley Bass gerade in der Luft. Ihre Maschine wurde mit anderen nach Gander, einem kleinen Ort in Kanada, umgeleitet, wo etwa 7000 Personen strandeten. Fünf Tage saßen sie dort fest, bis sie nach Hause durften – die heute 69-jährige Amerikanerin erinnert sich noch gut daran.

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Hannah Scheiwe

Gander/New York. Sie flog gerade von Paris nach Dallas, in der amerikanischen Heimat warteten ihr Mann und ihre zwei kleinen Kinder auf sie, da erreichte Beverley Bass die Nachricht: Es gab einen Anschlag in New York. Der US-Luftraum wird geschlossen. Sie müssen in Gander, einer kanadischen Kleinstadt auf der Insel Neufundland, landen. Viel mehr wird ihnen zunächst nicht gesagt.

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Die Pilotin kann sich noch gut an diesen Tag erinnern, auch wenn er schon 20 Jahre her ist. Es war der 11. September 2001, als Terroristen in den USA mehrere Flugzeuge entführten und unter anderem in das World Trade Center in New York steuerten. Die damals 49-Jährige, die erste Kapitänin eines American-Airlines-Passagierflugs überhaupt, war da gerade selbst in der Luft, steuerte ihre Maschine in Richtung Dallas.

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Beverley Bass kam erst Tage später in Dallas an

Dort kam sie erst Tage später an, wie die Frau mit den kurzen weißen Haaren heute erzählt. „Ich war mitten über dem Nordatlantik, als wir die Nachricht bekommen haben, dass die Twin Towers getroffen wurden“, sagt sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir wussten keine Details, wir wussten nicht, dass das Flugzeug entführt worden war.“ Nach einigem Hin und Her sei die Landung in Gander angeordnet worden – „wir sind in einem Ort mit 9400 Einwohnern gelandet, mit fast 7000 Passagieren.“ Denn nicht nur die Maschine von Bass wurde dorthin umgeleitet, sondern auch weitere 38 Transatlantikflüge.

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Die Umleitung war Teil der sogenannten „Operation Yellow Ribbon“, deren Ziel es war, potenziell gefährliche Flugzeuge aus dem amerikanischen Luftraum so schnell wie möglich entfernen zu können, indem sie auf zivilen und militärischen kanadischen Flughäfen zum Landen gebracht wurden, wo ihre mögliche Zerstörungskraft besser kontrolliert hätte werden können. Jedoch ging schlussendlich von keinem der Flugzeuge eine Gefahr aus.

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Lange Stunden des Wartens und der Ungewissheit

Was in Gander für Bass und rund 7000 andere Menschen folgte, waren lange Stunden des Wartens – mit Schulbussen mussten die Crews und Passagiere auf den Ort verteilt und untergebracht werden. „Wir waren am Ende 28 Stunden in dem Flugzeug, bevor wir aussteigen konnten“, erinnert sich Bass. Sieben Stunden seien sie zum Zeitpunkt der Landung bereits in der Luft unterwegs gewesen, weitere 21 kamen dann in Gander dazu, bevor sie die Maschine verlassen durften und die Gestrandeten auf die Stadt verteilt wurden.

Während die Pilotin ihren Job machte, beim Organisieren half, zu diesem Zeitpunkt kaum etwas über die Terrorattacken wusste, blieb ihre Familie im Ungewissen. Es gab damals noch keine Smartphones, erst etwa neun Stunden nach den Vorfällen konnte sie ihren Mann und ihre Kinder, damals neun und zehn Jahre alt, erreichen. „Alle Schulen wurden nach den Attacken geschlossen, und mein Mann ist zur Schule gefahren, um die Kinder abzuholen“, rekonstruiert Bass die Ereignisse, die sich abseits ihres Flugzeugs in der Heimat abspielten.

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Die Kinder hätten sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt, weil der Vater, der 45 Minuten entfernt von ihrer Schule in Dallas gearbeitet habe, sie sonst nur selten abgeholt habe, und dann auch noch am Vormittag. „Sie waren sehr aufgebracht. Sie wussten, dass ich geflogen bin, aber hatten keine Ahnung, wo ich bin“, erzählt die heute 69-Jährige mit dieser gutmütigen Art. Ihre Stimme bleibt immer freundlich, herzlich, auch wenn sie von den aufwühlenden Ereignissen berichtet.

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Pilotin über ihre Familie: „Es war ein langer Tag für sie, sehr viel länger als für mich“

Gegen 8.45 Uhr New Yorker Zeit, in Dallas ist es eine Stunde früher, begannen die Anschläge. Erst gegen 16.30 Uhr am Nachmittag habe Bass ihre Familie erreichen können. „Es war ein langer Tag für sie, sehr viel länger als für mich“, so die Pilotin, die seit ihrem Ruhestand bei American Airlines zwei Privatpersonen in einem Jet herumfliegt. „Ich musste meinen Job machen, ich wusste, wo ich war, und wusste, dass es uns gut geht.“ Ihre Familie hingegen sei in großer Sorge um sie gewesen. „Wir haben erst rund 30 Stunden nach den Ereignissen die Bilder der Attacken im Fernsehen gesehen, während der Rest der Welt die Bilder da schon Hunderte Male gesehen hatte“, erinnert sich Bass. Sie waren dem Rest der Welt einen Schritt hinterher. Und gleichzeitig so nah dran an den Geschehnissen.

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Denn das, was den Pilotinnen und Piloten und Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern passiert ist, deren Maschinen von den Terroristen entführt wurden, hätte auch sie treffen können. Es änderte alles. „Das ist nichts, worauf wir jemals in unserer Karriere vorbereitet wurden“, sagt Bass. „Alle waren wehrlos.“ Die Abläufe hätten sich seitdem drastisch verändert, alle co*ckpittüren wurden kugelsicher gemacht und würden während des Fluges nie mehr offengelassen.

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„Nie“ habe sie Angst vorm Fliegen gehabt – „nie“

Bass selbst reagierte fast trotzig auf die Ereignisse: „Nie“ antwortet sie auf die Frage, ob sie danach jemals Angst beim Fliegen gehabt habe. „Ich wollte nie zulassen, dass diese schrecklichen Typen ruinieren, was ich so sehr liebe.“ Bei den Passagieren habe sie nach den Anschlägen aber ein Unbehagen wahrgenommen, jeder habe jeden irgendwie gemustert, ängstlich nach Verdächtigen Ausschau gehalten. Doch sie selbst ließ sich nicht unterkriegen. „Ich hatte nie Angst, in ein Flugzeug zu steigen“, betont sie, und schiebt ein weiteres „Nie“ hinterher.

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So habe sie auch nach den fünf Tagen in Gander, nach denen sie schlussendlich nach Dallas zurückflog, sofort weiterarbeiten wollen. Einwände ihres Arbeitgebers, sich ein paar Tage frei zu nehmen nach den Geschehnissen, habe sie ausgeschlagen. „Ich bin sofort zurückgekehrt.“ Doch nicht alle waren so stark wie sie: „Wir hatten Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter, die nie wieder geflogen sind“, so Bass.

Fünf Tage saßen die Gestrandeten in Gander fest

Fünf Tage verbrachte sie damals nach den Anschlägen in Gander, mit rund 7000 anderen gestrandeten Menschen. Während einige Passagiere sich dort unter die Menschen mischten, sich lebenslange Freundschaften und auch eine Liebesgeschichte ergab, blieb Bass die meiste Zeit in der Nähe ihres Motels, in dem die Crew untergebracht wurde, während viele der Passagiere etwa in Schulen und Kirchen nächtigten. Sie wollte sich nicht zu weit wegbewegen, weil sie immer abrufbereit sein wollte für einen Rückflug in die Heimat. Von vielen der Geschichten erfuhr sie erst später, als sie nach Gander zurückkehrte.

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Ganze sechsmal tat Bass das, wie sie erzählt. Einmal etwa zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge, wo sie dann auch mit den Autoren des Musicals „Come from Away“ über ihre Erlebnisse sprach. Das Musical erzählt die Geschichte der Gestrandeten in Gander seit 2015 in Aufführungen in aller Welt – seit dem 10. September ist eine Aufnahme davon nun auch bei Apple+ als Film zu sehen. Bass selbst hat sich das Musical seit 2015 unglaubliche 158-mal angesehen, wie sie erzählt. Sie selbst ist eine Figur darin, die von einer Schauspielerin verkörpert wird. Als sie ihre eigene Geschichte gemeinsam mit ihrem Mann das erste Mal auf der Bühne gesehen habe, sei das „sehr seltsam“ gewesen, gibt sie zu. „Es ist sehr surreal.“ Aber es sei in keinem Moment unangenehm oder peinlich gewesen, einfach emotional – „es hat das alles irgendwie zurückgebracht“.

Besuch in Gander zum 20. Jahrestag fällt wegen Pandemie aus

Eine Reise in die Vergangenheit hat die Pilotin dann auch vor wenigen Jahren noch mal mit ihren mittlerweile erwachsenen Kindern unternommen und ist mit ihnen erneut nach Gander zurückgekehrt. „Ich wollte, dass meine Kinder wissen, wo ich an diesem geschichtsträchtigen Tag war“, sagt sie. Auch dieses Jahr, zum 20. Jahrestag, sollte sie eigentlich mit anderen Menschen, die damals in Gander gestrandet waren, in den kanadischen Ort zurückkehren. Die Hotels waren bereits reserviert, doch die Pandemie macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Der Besuch in diesem Ort, der als Nebenschauplatz von 9/11 bekannt wurde, muss bis zum nächsten Gedenktag warten.

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